Attikus A. Schacht berät mit Schacht Consulting Serviceorganisationen beim Service Design, bei der Organisation und dem IT-Einsatz. Dr. Martin Schröder ist einer der deutschen Pioniere der Sprachverarbeitung und stellt mit seinem Unternehmen Sympalog Voice Solutions seit über 20 Jahren Sprachdialogsysteme (Voicebots) her. Die beiden Experten diskutieren über technologische Entwicklungen, heutige und künftige Anwendungsfälle und klären gleich zu Beginn, ob der KI- und Voicebot-Hype wirklich technologisch begründet ist und tatsächlich ein echter strategischer Gamechanger ist.

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Blog: Herr Dr. Schröder, wie sieht es in der Praxis aus, wenn Unternehmen Voicebots integrieren möchten? Denken die Unternehmen da groß oder bleibt es eher bei der Lösung akuter Probleme?

Dr. Martin Schröder: In der Praxis erleben wir oft, dass Unternehmen zunächst groß denken, aber schnell mutlos werden, wenn sie feststellen, wie schwierig die Integration tatsächlich ist. Viele verlieren sich in den alltäglichen technischen Herausforderungen, insbesondere bei der Anbindung an bestehende Systeme. Es gibt oft Probleme mit Schnittstellen, die entweder nicht verfügbar oder extrem teuer sind. Auch interne Widerstände, wie etwa Interessen von Anbietern bestehender Systeme, können die Integration erschweren.

Blog: Was sind die größten technischen Hürden bei der Integration eines Voicebots?

Dr. Martin Schröder: Eine der größten Hürden ist die fehlende Anbindung an die Backend-Systeme des Unternehmens. Ein Voicebot ist nur so intelligent, wie die Daten, auf die er zugreifen kann. Wenn er keinen Zugang zu den relevanten Informationen hat, kann er nur rudimentäre Aufgaben übernehmen und behandelt jeden Anrufer gleich, ohne die Historie oder spezifische Anliegen zu berücksichtigen. Das führt dazu, dass der Voicebot nicht sein volles Potenzial entfalten kann und die Kundenzufriedenheit leidet.

Blog: Herr Schacht, wie sieht es aus organisatorischer Sicht aus? Welche Schwierigkeiten treten hier bei der Integration von Voicebots auf?

Attikus A. Schacht: Organisatorisch sehen wir oft, dass Unternehmen zwar die Möglichkeiten eines Voicebots erkennen, aber an der Umsetzung scheitern, weil es an der richtigen Prozessgestaltung mangelt. Viele Unternehmen sind von der Komplexität der Integration überfordert und werden dann zurückhaltend, insbesondere wenn Systemanbieter hohe Kosten für Schnittstellenintegration verlangen. Hinzu kommt, dass es häufig an einer klaren Verantwortlichkeit mangelt. In vielen Unternehmen ist unklar, wer für den Voicebot zuständig ist – oft wird er in den Keller zur Telefonanlage „abgestellt“ und dann weitgehend sich selbst überlassen.

Blog: Wie kann man solche Herausforderungen meistern? Was ist erforderlich, um Voicebots erfolgreich zu integrieren?

Dr. Martin Schröder: Aus technischer Sicht ist es wichtig, dass Unternehmen eine flexible Systemlandschaft haben, die Microservices und REST-APIs unterstützt. Diese Technologien ermöglichen es, verschiedene Systeme miteinander zu verknüpfen und den Voicebot mit den benötigten Daten zu versorgen. Es gibt auch standardisierte Dokumentationen, die die Integration erleichtern. Dennoch bleibt die inhaltliche Arbeit an den Schnittstellen unerlässlich. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Systeme moderne Schnittstellen unterstützen, sonst bleibt der Voicebot ineffizient.

Attikus A. Schacht: Aus organisatorischer Sicht ist es entscheidend, dass der Voicebot nicht nur als technisches Hilfsmittel betrachtet wird, sondern als integraler Bestandteil des Kundenservice. Das bedeutet, dass er genauso wie ein menschlicher Mitarbeiter in die Prozessabläufe eingebunden und regelmäßig überprüft und optimiert werden muss. Unternehmen sollten außerdem sicherstellen, dass die Verantwortlichkeiten klar geregelt sind und der Voicebot kontinuierlich weiterentwickelt wird. Es reicht nicht, ihn einmal einzuführen und dann sich selbst zu überlassen.

Blog: Können Unternehmen denn solche Systeme auch ohne größere Umstellungen in ihre bestehende Infrastruktur integrieren?

Dr. Martin Schröder: Ja, das ist möglich, allerdings nutzt man dann nicht das volle Potenzial der Technologie. Wenn der Voicebot nur dazu dient, einfache Aufgaben wie das Abfragen einer Kundennummer zu übernehmen, spart das zwar Zeit und Geld, bleibt aber unter den Möglichkeiten. Eine wirklich sinnvolle Integration erfordert, dass der Voicebot Zugang zu allen relevanten Daten hat, um intelligent und kontextbezogen reagieren zu können.

Attikus A. Schacht: Genau, und es ist wichtig, die Kunden nicht zu überfordern. Ein Voicebot sollte so gestaltet sein, dass er dem Kunden erklärt, was er kann, und ihm dabei hilft, seine Anliegen effektiv zu lösen. Eine kluge Integration und Gestaltung des Voicebots kann hier einen großen Unterschied machen. Zudem sollte immer die Möglichkeit bestehen, dass der Kunde zu einem menschlichen Mitarbeiter weitergeleitet wird, wenn der Voicebot an seine Grenzen stößt.

Blog: Herr Dr. Schröder, wenn wir in die Zukunft blicken, wie sehen Sie die weitere Entwicklung von Voicebots? Ist die technologische Entwicklung schon an einem Punkt angelangt, wo es keine großen Sprünge mehr gibt, oder erwartet uns noch mehr?

Dr. Martin Schröder: Wenn ich ehrlich bin, habe ich Entwicklungen wie ChatGPT nicht vorhergesehen. Die Technologie hat mich überrascht, und das zeigt, dass wir uns nicht sicher sein können, was als Nächstes kommt. Die aktuellen KI-Modelle, insbesondere die Transformer-Architektur, werden effizienter und besser werden, aber ich erwarte keine revolutionären Sprünge mehr auf dieser Basis. Allerdings weiß ich auch nicht, was in den Entwicklungszentren dieser Welt gerade passiert. Sicher ist, dass wir mit der Technologie, die wir heute haben, noch viel vor uns haben. Es geht jetzt darum, diese Technologien sinnvoll einzusetzen und zu verdauen. Wir müssen uns mit den Möglichkeiten auseinandersetzen und sie in die Praxis umsetzen.

Blog: Glauben Sie, dass Voicebots in Zukunft den gesamten Kundenservice übernehmen werden?

Dr. Martin Schröder: Ich denke, dass Voicebots und ähnliche Technologien in Zukunft einen Großteil der Standardanfragen im Kundenservice übernehmen werden. Gerade aufgrund des Fachkräftemangels wird es immer wichtiger, diese Systeme einzusetzen. Die Menschen werden sich daran gewöhnen, ihre alltäglichen Anliegen mit einem Voicebot zu klären, und nur bei komplexeren Problemen auf einen menschlichen Mitarbeiter zurückgreifen. Wenn die Kunden erst einmal Vertrauen in die Systeme entwickelt haben, sehe ich darin keinen Nachteil, sondern eher eine Chance.

Attikus A. Schacht: Ich bin da etwas visionärer unterwegs. Vielleicht liegt das daran, dass ich zu viel Science-Fiction geschaut habe, aber ich denke oft an die Droiden aus Star Wars, die uns das Leben erleichtern. Das könnte die Richtung sein, in die wir uns entwickeln. Es ist sicherlich ein Traum vieler Customer-Service-Verantwortlicher, auf eine Technologie zurückgreifen zu können, die nicht krank wird, nichts vergisst und immer qualitativ hochwertig arbeitet. Natürlich wird das nicht sofort passieren, aber die Vision ist da.

Blog: Kommen wir zum Qualitätsmanagement. Wie lässt sich die Leistung eines Voicebots dauerhaft sicherstellen?

Attikus A. Schacht: Ein Voicebot ist wie ein lebendiges System, das ständig überwacht und angepasst werden muss. Es ist wichtig, ihn kontinuierlich zu testen, zu optimieren und die Ergebnisse zu analysieren. Unternehmen sollten regelmäßige Audits durchführen, um sicherzustellen, dass der Voicebot die Erwartungen der Nutzer erfüllt. Hierbei spielen die gesammelten Daten eine zentrale Rolle – sie geben Aufschluss darüber, wo es Optimierungspotenzial gibt und wie die Nutzererfahrung verbessert werden kann. Ein weiterer Aspekt ist die regelmäßige Schulung und Anpassung der zugrundeliegenden Modelle, damit der Voicebot immer auf dem neuesten Stand bleibt.

Blog: Herr Dr. Schröder, was sind aus technischer Sicht die größten Herausforderungen im Qualitätsmanagement von Voicebots?

Dr. Martin Schröder: Die größte Herausforderung ist, dass viele Unternehmen nur auf das Endergebnis schauen – also darauf, ob das Gespräch erfolgreich war oder nicht. Dabei wird oft übersehen, wie wichtig der Weg zum Ergebnis ist. Ein guter Voicebot sollte nicht nur richtige Antworten geben, sondern auch den Nutzer durch die Interaktion führen und eine positive Erfahrung bieten. Um dies zu gewährleisten, ist es notwendig, nicht nur das Ergebnis zu messen, sondern auch den gesamten Dialogprozess zu analysieren. Technisch bedeutet das, dass wir uns die einzelnen Schritte im Dialog ansehen müssen: Wo bleiben Nutzer hängen? Wo gibt es Missverständnisse? Und wie können wir diese Punkte optimieren? Hierfür bieten moderne Voicebot-Systeme umfangreiche Analysewerkzeuge, die es ermöglichen, den gesamten Prozess detailliert zu überwachen und fortlaufend zu verbessern.

Blog: Wie können Unternehmen sicherstellen, dass diese Analysewerkzeuge effektiv genutzt werden?

Dr. Martin Schröder: Unternehmen müssen sicherstellen, dass die Verantwortlichkeiten klar verteilt sind. Es reicht nicht, wenn nur die IT-Abteilung den Voicebot überwacht – auch das Management und die Fachabteilungen müssen involviert sein. Nur durch eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten kann der Voicebot kontinuierlich optimiert werden. Außerdem ist es wichtig, dass die Analysewerkzeuge regelmäßig genutzt und die Ergebnisse in den Verbesserungsprozess einfließen. Nur so kann der Voicebot auf Dauer erfolgreich im Einsatz bleiben.

Attikus A. Schacht: Ergänzend dazu denke ich, dass es unerlässlich ist, den Voicebot als integralen Bestandteil der gesamten Service-Strategie zu sehen. Das bedeutet, ihn regelmäßig zu „trainieren“ und die Interaktionen so zu gestalten, dass sie sowohl den Kunden als auch den Unternehmenszielen gerecht werden. Es ist vergleichbar mit einem menschlichen Mitarbeiter – auch ein Voicebot benötigt laufendes Feedback und Anpassungen, um optimal zu funktionieren.

Blog: Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie die Reise in den nächsten Jahren hingehen?

Dr. Martin Schröder: Ich denke, wir werden in den nächsten zehn Jahren deutliche Fortschritte sehen, besonders in der proaktiven Nutzung von Daten. Unternehmen könnten in der Lage sein, Probleme zu erkennen und zu lösen, bevor der Kunde überhaupt anruft. Langfristig wird es vielleicht sogar so sein, dass persönliche Assistenten, die auf unseren Handys laufen, sich direkt mit den Voicebots der Unternehmen austauschen und für uns die beste Lösung finden.

Attikus A. Schacht: Das sehe ich auch so. Es wird spannend zu sehen, wie sich die Technologie entwickelt und wie sie unser tägliches Leben beeinflussen wird. Ich bin sicher, dass wir in den nächsten Jahren noch viele interessante Entwicklungen erleben werden.

Blog: Das klingt nach einer aufregenden Zukunft. Vielen Dank für das spannende Gespräch und die interessanten Einblicke!